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Stella Rollig im Gespräch mit Ovidiu Anton über seine Ausstellung »PATCHWORKS«
Montag, 18. Oktober 2021, 19:00 Uhr
Arbeiterkammer Wien (Prinz-Eugen-Straße 20–22, 1040 Wien)
Migration ist eines der großen Themen der Gegenwart. Je weiter sich die Schere zwischen ökonomischen, sozialen, politischen Lebensverhältnissen in verschiedenen Ländern und Kontinenten öffnet, je brutaler Kriege, Diktaturen und Umweltzerstörung die Chancen auf Einkommen, Sicherheit und Bildung verringern, desto größer werden Migrationsbewegungen aus dem globalen Süden in den Norden, aus Armut und Lebensbedrohung in Richtung erhoffter Sicherheit, ökonomischer Stabilität und persönlicher Entwicklungsmöglichkeiten. Die Politik der wohlhabenden Länder und Kontinente hat angesichts des Umfangs und der Komplexität der globalen Migrationsbewegungen kapituliert. Sie entwickelt keine konstruktiven Lösungen, sondern praktiziert Abwehr, Abschottung, Dichtmachen. Nationalstaaten legen gesetzliche Voraussetzungen für die Einreise fest. Diese zielen darauf ab, möglichst nur finanzkräftige Ausländer*innen auf ihr Territorium zu lassen – Geschäftsleute oder Tourist*innen. Sogenannte Armutsmigrant* innen oder Flüchtende sind nicht willkommen. Infolgedessen suchen diese Menschen Umwege über sogenannte »grüne Grenzen«. Auch diese müssen also undurchlässig gemacht werden. Ovidiu Anton zeigt die faktischen Effekte illegalisierter Migration, der Überschreitung staatlicher Grenzen abseits von Kontrollstationen und Visaregeln.
Seine künstlerische Methode der Kritik entwickelt er als Fokussierung auf zunächst Nebensächliches. Anton untersucht den Zaun an Abschnitten der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Er entdeckt, dass dieses eiserne Bauwerk, das Ex-Präsident Donald J. Trump zum Bollwerk stilisierte (»Build that Wall!«), keineswegs unüberwindlich ist. Man kann es zum Beispiel mit einem Metallschneider löchern und durchschlüpfen. Worauf eine Einheit des US-Grenzschutzes morgens mit Schweißgeräten und Metallstücken den Zaun wieder flickt. Anton arbeitet heraus, wie die banale Erfüllung einer täglichen Aufgabe – die Reparatur des Grenzzauns – die Selbstverständlichkeit widerspiegelt, mit der die Abwehr der »Fremden« betrieben wird. Seine Holzskulpturen entsprechen der zufälligen Geometrie der Flicken des Zauns.
Ein weiterer Strang von Antons Recherche führt unvermutet nach Italien im 2. Weltkrieg. Zeitgeschichte als Patchwork. Die US-Armee verfügte für ihre Flugzeuge über eine mobile Infrastruktur: transportable Landebahnen, sogenannte »Landing Mats« aus zusammensteckbaren Stahlplatten. Nach dem Krieg wurde ein Teil dieses Materials in die USA gebracht und fand später als Teil des Grenzzauns zu Mexiko Verwendung. Andere Platten sieht man heute in der süditalienischen Region um Foggia: Sie wurden von den Bewohner*innen unter anderem in Fensterläden oder Tore verwandelt. Der heutigen Besucher*in erscheinen sie trügerisch als Teil der traditionellen lokalen Architektur. Das Alltägliche ist nicht harmlos, und die Vergangenheit ist nicht tot. (Stella Rollig)
Die Ausstellung im Foyer der AK Wien ist bis zum 29. Oktober 2021 zu sehen.
Mo–Fr 8–17 Uhr, Eintritt frei ©Foto Klaus Pichler