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Gruppenausstellung mit Arbeiten von Sherine Anis, Luz Olivares Capelle, Bartosz Dolhun, Susanna Flock, Stefanie Koemeda und Apparatus 22. Kuratiert von Maximilian Lehner
05. 11. - 18. 12. 2021
FÜNFZIGZWANZIG
Residenzplatz 10, 2.OG, 5020 Salzburg
Bei den Treffen zur Vorbereitung der vorhergehenden Ausstellung Vor einem Sturm regnete es meist. Nicht so, dass es eine angenehme Abwechslung gewesen wäre, sondern so, dass unsere Kleidung danach durchnässt war und wir nichts mehr machen konnten. Der Sturm war angekündigt, das plötzliche Eintreten und die Intensität blieben jedoch überraschend.
War die erste Ausstellung, charakterisiert durch die Zeitspanne vor einem Sturm, dieser Unsicherheit gewidmet, geht Unendliche Vorhersage nun den Versuchen nach, sie zu vermeiden. In kleinsten Annäherungen wollen wir die Zukunft vorhersagen oder lediglich aktuelle Entwicklungen und Wahrnehmungen verstehen, weil Ideen von Planbarkeit, Vorhersage und Berechenbarkeit viele Sphären des Alltags bestimmen.
“Human wisdom cannot exactly perceive the future but the imminent, what is already happening but is not visible yet.
The imminent is what we are presently unable to fully grasp but is confusedly reaching our sensible antennae. The imminent is immanent, but does it mean that the imminent is inevitable?
Yes, it is, nevertheless we should always remember that Keynes said somewhere that the inevitable never happens because the unpredictable generally breaks the chain of inevitability.” *
Eine Option, aus solch kontrollierten Versuchen der Weissagung auszubrechen, scheint das Hinnehmen von Unsicherheit zu sein. Eine zweite Option ist, stets neue Annäherungen an diese Unsicherheit auszuhalten: die unendliche Vorhersage. Ausgehend von diesem abstrakten Gedanken der Unsicherheit ging das kuratorische Experiment von Vor einem Sturm weiter. Wieder sind es fünf für mich neue Positionen aus den vergangenen Open Calls der 5020 und ein Kollektiv, das die Ausstellung von außen kommentieren soll. In Gesprächen mit den Künstler*innen versuche ich zu verstehen, wie das Thema der ersten Ausstellung umgekehrt werden könnte: Erkenntnis aus der Unsicherheit? Wie können wir diese doppelte Offenheit beschreiben, in der uns bewusst ist, dass etwas anderes passieren könnte, als wir erwarten, aber gleichzeitig noch etwas anderes als dieses andere eintreten könnte?
Die Metapher des Sturms wird weitergetrieben: Was, wenn die Vorzeichen, unter welchen wir den Sturm kommen sahen, wechseln? Die Möglichkeit, aus einer völlig unverständlichen Situation etwas zu lernen, bleibt ja meist ausgeschlossen. Zufallsfunde werden zwar so verstanden, aber warum sollte sich uns etwas darbieten, was wir gar nicht einordnen können?
Ich finde mich in einer Situation wieder, in der das erwartete Ereignis oder die zu erwartende Wahrnehmung nochmals ausgetauscht wird. Die Unsicherheit, die mich begleitet hat, schwingt in eine neue um. Der erste Teil der Ausstellung sollte mit der Erwartung im Bekannten umgehen und damit, wie aus Bekanntem Überraschendes erwachsen könne. Die Umkehrung des Gedankens macht aber klar, wie beliebig diese Überraschung ist. Im Raten, im Ausprobieren, im Virtuellen, im Durchscheinenden, im Nachahmen, im Vorhersagen, im Kennenlernen, im Verändern; überall finden wir physische und zeitliche Spuren, die im Zwischenraum der Annäherung an eine Erwartung verbleiben können.
“The future is rather the permanent displacement of the truth, a declaration of the infinite ambiguity of the process of interpretation.
The oracle does not reveal, she just starts a process of infinite interpretation.
The interpretation is our future.
The prophet is like the poet who is not revealing any truth, and does not give you the key to any hidden secret.
The poet is triggering the adventure of infinite interpretation.” *
Spekulativ überträgt sich das Thema mit den künstlerischen Arbeiten der Ausstellung auf unterschiedliche Sphären. Die unendliche Vorhersage wird zum Modus, der Zukünftiges offenhält, der im Status der Erwartung verbleiben kann. Ein Modus, in dem eine Täuschung oder Wahrnehmung offen bleibt. Der die Poesie der Tatsache, dass Dinge sich ändern können, nicht bricht. Der den Gedanken aufrecht erhält, dass die Interpretation des Status Quo auf Grundlage unserer Erfahrungen zwar oft eine zutreffende Vorhersage der Zukunft bietet, aber niemals abschließend alles vorwegnehmen sollte.
Maximilian Lehner
* Beide Zitate stammen aus Franco Berardi: The Oracle, in: Alienocene. Journal of the First Outernational (11 June 2018). URL: https://alienocene.com/2018/06/11/the-oracle/.
Künstler*innen: Sherine Anis, Apparatus 22, Luz Olivares Capelle, Bartosz Dolhun, Susanna Flock, Stefanie Koemeda
Beiträge aus dem ersten Teil von Žarko Aleksić, Andrea Lüth, Marie-Andrée Pellerin.
Foto: Studio Fjeld